Chemnitzer Zustände sind kein Zufall – ein Statement zum 1. September

Wir sind aus Süddeutschland gemeinsam mit vielen anderen AntifaschistInnen zu den Protesten am Samstag dem 1. September nach Chemnitz gereist. Wir haben die Notwendigkeit gesehen, die AntifaschistInnen vor Ort zu unterstützen.

(Quelle: Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart)

Die medialen Berichte, die oftmals ein mindestens unvollständiges und meist völlig verdrehtes Bild der Geschehnisse in Chemnitz am Samstag zeichnen, nötigen uns, die Situation darzustellen wie sie tatsächlich war.
Schon am Montag zeigte sich, dass der Freistaat Sachsen nicht gewillt ist, dem massiven Naziproblem etwas entgegenzusetzen und „Minderheiten“ adäquat zu schützen.* Wir schreiben bewusst „nicht gewillt“, weil das „Versagen“ der Polizei am Montag nicht an Fehleinschätzungen oder zu wenigen bzw. schlecht ausgerüsteten Kräften liegt. Offensichtlich ist die sächsische Polizei in der Lage massive Aufgebote aufzufahren, wenn AntifaschistInnen demonstrieren, so zum Beispiel in Wurzen im September 2017. Hier wurde sogar zur Terrorbekämpfung ausgebildetes SEK eingesetzt.

Nach den Pogromen am Montag und dem internationalen Aufschrei musste Sachsen, aber auch der deutsche Staat reagieren und ein Bild der Stärke präsentieren. So wurde seit Donnerstag an der Inszenierung des starken Staates, der aus seinen misslichen Fehlern gelernt hat, gearbeitet. Es wurden Pressekonferenzen abgehalten, Fehler der Einsätze am Montag eingeräumt und mit der Unterstützung aus fünf Bundesländern ein „Wir schaffen das!“ demonstriert.

Der gestrige Tag hat bewiesen, dass dem nicht so ist. Zwar waren mehr Polizeieinheiten vor Ort, trotzdem wurde nach dem alten Schema verfahren: Den Faschisten wurden großzügige Freiheiten gewährt, sodass diese sich in großen Gruppen nahezu ungehindert bewegen und mehrmals MigrantInnen oder Linke angreifen konnten. Die Gegenproteste hingegen wurden mit großem Eifer kurz gehalten und immer wieder angegriffen. So wurde eine angereiste große Gruppe aus Leipzig lange Zeit aufgehalten und nicht zur Kundgebung gelassen, mehrmals versucht die Protestierenden in kleinere Gruppen aufzuspalten, jede Gruppe, die sich in der Innenstadt bewegte, ohne Vorwarnung angegriffen und zu guter Letzt 200 AntifaschistInnen zusammen getrieben und über Stunden in einem Kessel festgesetzt. Dabei gab es viele Verletzte durch Einsatz von Pfefferspray und Knüppeln. Nur 600 Meter entfernt konnten sich etwa 2000 (!) Nazis unbehelligt versammeln und von dort aus in Gruppen in der Stadt verteilen.

Trotz all dieser Umstände nahmen sich AntifaschistInnen gestern in Chemnitz zu Tausenden die Straße. Es fanden große Blockaden statt, die zum Abbruch des AfD-Marschs führten und es wurde bestmöglich versucht, sich selbst und andere vor Naziübergriffen zu schützen.

Die oben beschriebene Situation vor Ort wird von Medienberichten weitgehend verschwiegen. Weite Teile der Medien machen sich mit einem höchst fragwürdigen Journalismus-Stil, der lediglich Polizei-Statements abschreibt schlicht unglaubwürdig und wird so zum verlängerten Arm der Inszenierung des „starken Staates“ der vergangenen Tage.
Die Folgen sind eine Verharmlosung der faschistischen Gefahr, nicht nur in Ostdeutschland und eine Meinungsmache, von der am Ende des Tages nur die Nazis profitieren.

Für Menschen, die sich abseits der Mainstream-Nachrichten informieren wollen empfehlen wir, mit denjenigen zu sprechen, die am Samstag tatsächlich in Chemnitz auf der Straße waren. Wie wir und tausende AntifaschistInnen aus der ganzen BRD!

Ereignisse wie die Pogrome in Chemnitz, Freital oder Heidenau zeigen mehr als deutlich, dass aktiver Antifaschismus nötig ist, und zwar ganz direkt: ob wir hier bei uns Faschisten und Rechte bekämpfen oder als Support in Gegenden, die auf Hilfe angewiesen sind; jeder Aktivismus ist in Zeiten wie heute bitter nötig!

*Exkurs sächsische Behörden:
Dass Teile der sächsischen Behörden mindestens über beste Kontakte in die Naziszene verfügen, ist nichts Neues: Beim Naziaufmarsch in Wurzen vor einem Jahr trug ein SEK-Beamter einen Aufnäher mit der Nazisymbolik „Raben Odins“. Das LKA prüfte damals den Fall und kam zu dem Schluss, dass der Vorfall nichts mit rechtem Gedankengut zu tun habe.
Bezeichnenderweise stellte sich vor Kurzem der Deutschland-Hut-Pöbler von Pegida Dresden als LKA-Mitarbeiter heraus. 2015 wurde gegen zwei Bereitschaftspolizisten ermittelt, weil sie regelmäßig Informationen an die Rechtsterrorgruppe „Gruppe Freital“ weitergaben.
In dieser Reihe gehört zweifellos auch die kürzliche Weitergabe des Haftbefehls des Mörders von Daniel H. durch einen Justizbeamten an die AfD genannt. Diese Liste ließe sich noch beliebig verlängern und zeigen nur zu deutlich, welches Geistes Kind weite Teile der sächsischen Behörden sind…